Roter Mond

Veröffentlicht am 7. September 2024 um 16:57

Es wurde wieder Zeit Kräuter sammeln zu gehen. Der lange Winter hatte endlich sein Ende gefunden und der Nahe Vollmond stand auch bevor. Also war die Zeit wie geschaffen dafür. Die Kräuter für Geburten waren fast zu Ende, da es in den Wintermonaten viel mehr Geburten gab, als die letzten Jahre. Dies war jedoch noch nicht alles. Für die nächsten Wochen haben sich noch so einige Babys angekündigt. Also machte ich mich auf den Weg zu meinen Kräuterplätzen um Himbeerblätter, Frauenmantel, Arnika und wilde Petersilie zu ernten.

 

Mein Weg führte mich vorbei an einem kleinen Bach, wo ich mich erfrischte und eine kleine Rast einlegte. Dabei beobachtete ich die Vögel und Bienen, die sich rund um die Blumen und Bäume tummelten. Meine Gedanken wanderten zu den letzten Monaten und die vielen Geburten im Winter zurück. Welchen Grund es wohl dafür gab, dass sich so viele Kinder auf den Weg zu uns machten? Was würde geschehen? Den ohne Grund war nichts auf dieser Welt, das wusste ich bereits. Ohne eine wirkliche Antwort zu finden, setzte ich meine Weg fort.

 

Angekommen an den Kräuterplätzen, dankte ich zuerst der Göttin und Mutter Erder für die reichen Gaben, die sie mir darboten. Die Kräuter waren diesmal stark und vor allem reichlich vorhanden. Das mich wiederum nachdenklich stimmte. Im Zuge des Erntens fand ich in einem Trancezustand, wo alle sehr leicht von der Hand ging. Die silberne Sichel bewegte sich fast von allein und die Zeit spielte keine Rolle mehr.

 

Ich hatte schon fast alle Sachen beisammen, als mich plötzlich ein lautes Rabengeschrei aus meiner Trance riss. Ich erschrak so, dass ich die Sichel fallen ließ und zwei Schritte zurück machte. Am Himmel sah ich einen sehr großen Raben umgeben von fünf kleineren.

 

Der große Rabe nahm wahr, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte und kam zu mir auf den Boden. Ich machte eine leichte Verbeugung und das Zeichen der Priesterin, denn der große Rabe war die Göttin Morigu. Sie nahm menschliche Gestalt an und sprach zu mir: „Priesterin und Heilerin, setzte deine Arbeit fort und besorge auch Kräuter für große Schmerzen und Wunden. Du wirst sie in den nächsten Tagen vermehr brauchen, so wie die Kräuter für Geburten.“ Morigu verwandelte sich wieder in einem Raben, schwang sich in die Lüfte, gab nochmals einen lauten Schrei von sich und flog mit ihren Begleitern davon.

 

Ich musste mich erstmal setzten um die Worte, die ich gerade von Morigu vernommen hatte, zu verstehen. Langsam ergaben die seltsamen Dinge in den letzten Monaten einen Sinn. Die vielen Geburten, die reichhaltigen Kräuter, das mehrte Auftreten von verschiedenen Wolkenformationen, dass alles ergab jetzt einen Sinn. Es stand ein Krieg bevor.

 

Diese Erkenntnis ließ mich auf die Beine springen. Ich holte tief Luft und setzte meine Sichel wieder in Bewegung. Sie bewegte sich von alleine und schnitt Kräuter, die ich bis jetzt nicht kannte. Doch diese wurden gebraucht um all das Leid das kommen wird zu lindern. Als ich genug gesammelt hatte, fiel mir die Sichel aus der Hand und ich sank in die Knie vor Erschöpfung.

 

Es war bereits die Nacht angebrochen als ich mich auf den Heimweg machte. Der Mond war bereits aufgegangen und er erstrahlte in einem Rot, dass ich bisher noch nicht gesehen hatte. Also war meine Erkenntnis richtig. Es wird Krieg geben. Auch der Mond bestätigte mir meine Gedanken. Es lief mir ein kalter Schauer über den Rücken und ich beschleunigte meine Schritte.

 

Als ich in unserem Dorf ankam, wurde ich bereits erwartet. Meine Helferinnen redeten alle auf mich ein, sodass ich kein Wort verstand und ihnen Einhalt gebot. Eine nach der anderen erzählte mir dann, dass bereits 2 Kinder auf der Welt waren, 3 weitere unterwegs und vermutlich noch 3 oder 4 Kinder sich auf den Weg machen würden, um bei uns willkommen geheißen zu werden. Ich übergab ihnen die Kräuter für die Geburten und schärfte ihnen ein, mich zu holen, falls es zu Problemen bei den Geburten kommen sollte. Sie versprachen es und machten sich wieder an die Arbeit.

 

Ich begab mich zu unserem Dorfältesten, um ihn von meiner Begegnung mit der Morigu und meiner Erkenntnis zu erzählen. Er erwartete mich bereits und bei ihm war ein Druide, den ich nicht kannte. Er stellte mir den Druiden als Sorban vor. Wir sahen uns beide von oben bis unten an und versuchten zu erkennen, was der andere wollte bzw. wie viel er bereits wusste. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich ihm trauen konnte und somit mach ich den ersten Schritt auf ihn zu und machte das Zeichen der Priesterinnen. Sorban setzte ein Lächeln auf und sagte: „Sei mir gegrüßt Priesterin Mona.“

 

Wir setzten uns an den runden Tisch im Hause des Dorfältesten und erzählten war wir wussten. Ich berichtete von meiner Begegnung mit der Morigu, sowie von meiner Wahrnehmung des roten Mondes. Sorban berichtete ebenfalls von einer Begegnung mit der Morigu und dass er den Auftrag erhalten hatte, mich in meinem Tun zu unterstützen und dem Kriegsrat als Berater zur Seite zu stehen. Dann erzählte er, dass auch er den roten Mond gesehen hatte und ihm dieser auch in seiner Vision bereits mehrmals erschienen ist.

 

Aus unserem vertieften Gespräch wurden wir durch einen Schrei gerissen. Ein Bauer kam bei der Tür herein gestürzt und rief, dass er im Wald Fackeln gesehen hätte und er davon ausging, dass die Angreifer bereits sehr nahe waren.

 

Die Sessel fielen um, als wir aufsprangen und aus dem Haus liefen. Unsere Krieger hatten sich bereits versammelt und gingen in Verteidigungsposition. Ich rannte zum Geburtshaus, wo sich bereits Alte, Frauen und Kinder des Dorfes versammelt hatten und versuchte alle, auch die Gebärenden, in die angelegten unterirdischen Tunnel zu bringen. Leider konnte ich nicht alle retten, da die Angreifer einen Ring um das Dorf gebildet hatten und von allen Seiten gleichzeitig angriffen.

 

Wir hörten in den Tunneln, wie der Kampf auch aufbaute und immer heftiger wurde. Einige weinten, einige waren ganz still, andere wieder versuchten durch Reden oder Singen die Kampfgeräusche zu übertönen. Es lag Angst in der Luft. Ich versuchte alle Anwesenden mit ein paar Worten zu beruhigen, indem ich ihnen sagte, sie sollen auf die Götter vertrauen. Sie werden uns leiten und uns den richtigen Weg zeigen. Ebenso teilte ich verschiedene Leute ein, sich um die Kinder zu kümmern, ihnen Geschichten zu erzählen, mit ihnen zu singen um eine andere Stimmung zu verbreiten. Andere wieder wurden dazu ausgesucht, den anderen Heilerinnen bei den Geburten zu helfen und wieder andere, sollten alle Anwesenden mit dem bereitgestellten Wasser und Essen, das immer hier lagerte, zu versorgen. So wurde die Angst immer kleiner und war dadurch auch nicht mehr zu greifen und zu fühlen.

 

Draußen kämpften die Männer und Frauen unseres Heeres mit allem was ihnen zur Verfügung stand. Es gab einen Augenblick, wo sie schon aufgeben wollten, doch Sorban sagte ihnen genau das gleiche, dass ich meinen Leuten unter der Erde sagte. Sie sollen auf die Götter vertrauen. Sorban rief die Morigu zu Hilfe und diese erhörte seinen Ruf. Sie erschien als großer schwarzer Rabe am blutroten Himmel. In ihrem Gefolge waren fünf weitere Raben. Dies erschreckte die Angreifer so sehr, dass diese einen Augenblick wie erstarrt waren. Da ging durch unsere Reihen ein großer Ruck und es wurden die letzten Kräfte mobilisiert. Die Angreifer wurden damit in die Flucht geschlagen und wir waren siegreich.

 

Morigu nahm am unteren Ende des Schlechtfeldes Platz und wartet bis mich Sorban aus den Tunneln geholt hatte. Sie half mir die gesammelten Kräuter richtig zu mischen und den Verwundeten zu verabreichen. Sorban wurde von ihr angeleitet die Toten an einem gewissen Platz abzulegen, damit sie sie dann mitnehmen konnte. Wir arbeiteten den Rest der Nacht und auch den ganzen nächsten Tag um die Verwundeten zu versorgen und das Schlachtfeld zu säubern. Die ganze Zeit über war Morigu anwesend und half uns mit ihren leitenden Worten.

 

Nach getaner Arbeit bedanken wir uns bei der Morigu für ihre Hilfe und sie sich bei uns, für unser Werk. Da merkten wir erst, wie müde wir eigentlich waren. Morigu lächelte milde und versprach uns einen erholsamen Schlaf. Sie verschwand genau so wie sie gekommen war, mit einem lauten Schrei und fünf Begleitern.

 

Sorban und ich wurden von unseren Leuten dazu gedrängt endlich schlafen zu gehen und das taten wir dann auch. Wir schliefen zwei volle Tage und erwachten danach sehr erholt und mit neuer Energie.

 

Das Alltägliche hatte bereits im Dorf wieder Einzug gehalten und doch war alles ein wenig anders. Leute beachteten und achteten sich gegenseitig wieder mehr und die Wertschätzung wurde wieder höher geschrieben. Sorban und ich lächelten uns an und dachten beide dasselbe: „Was so ein Krieg nicht alles bewirken kann.“

 

Diese Geschichte entstand im Zuge der Priesterausbildung im Jahre 2016

Monja